Der Naturschutz kann nicht für jede Art
(Population, Habitat) ein eigenes, wissenschaftlich und empirisch abgesichertes
Schutzprogramm entwickeln. Er benötigt "Orientierungshilfen", ausgewählte
Tierarten, die als Zeiger für ganze Artengemeinschaften oder bestimmte Qualitäten eines
Habitats dienen. Die Ökologie und der Naturschutz verfolgen dazu verschiedene Ansätze:
- Bindegliedarten
(mobile link species): Arten, die wichtige funktionelle Komponenten zwischen
mehreren Nahrungsketten oder Tier-Pflanzen-Assoziationen bilden. Das sind z.B.: Biber,
Rote Waldameise.
- Flaggschiffarten
(flag ship species): Arten, die aufgrund ihrer Größe und Auffälligkeit als
"Flaggschiffarten" die öffentliche Unterstützung für die Erhaltung ganzer
Lebensgemeinschaften verschaffen.
- Indikatorarten
(indicator species): Arten, die einem speziellen Interesse für
Umweltüberwachung oder Managementmaßnahmen dienen.
- Leit-
bzw. Charakterarten: Seltene Arten mit extremen Ansprüchen an den
Lebensraum. Ihr Vorkommen weist auf die Existenz anderer seltener Arten hin. Ihr Fehlen
zeigt an, daß der Lebensraum nicht intakt ist. In der Vegetationskunde zur Beschreibung
von Pflanzengemeinschaften akzeptiert. In der Zoologie noch im Aufbau (s. KRATOCHWIL
1987). Vorrangig Vögel, Fledermäuse, Amphibien, Libellen, Heuschrecken, Großkäfer,
Großschmetterlinge.
- Regenschirmarten
(umbrella species): Arten, durch deren Schutz eine ganze Reihe kleinerer Arten
mit ähnlichen Lebensraumansprüchen erhalten wird.
- Schlüsselarten
(key species): Arten, die als "Schlüssel" für das Funktionieren einer
Lebengemeinschaft/eines Lebensraumes wirken. Schlüsselrolle z.B. in der räumlichen
Verteilung und Erhaltung pflanzlicher Artenvielfalt. Ihr Verschwinden zieht das Aussterben
anderer Arten nach sich. Das sind z.B.: Biber, einzelne Spechtarten, Eichhörnchen,
Eichelhäher.
- Zielarten
(management indicator species): Abgeleitet aus dem "Minimal Viable
Population" - Ansatz und dem Konzept der Metapopulation. Ziel besteht in der
Zukunftssicherung der Populationen. Kriterium für Naturschutzmaßnahmen ist die kleinste
überlebensfähige Population sowie deren Flächen- und Habitatansprüchen.
Im Alltag zeigt sich, dass die
verschiedenen Begriffe mit ihren zum Teil ähnlichen oder sich überlagernden Definitionen
in hohem Maße für Verwirrung sorgen. Deshalb seien im folgenden die von MÜHLENBERG
(1989) genannten Kriterien zur Auswahl von Zielarten
für ein bestimmtes Gebiet erwähnt:
- Arten mit größtem
überregionalen Gefährdungsgrad, die bei Verlust nicht ersetzbar sind!
- Veränderung des
Lebensraumes stellt Hauptgefährdungsursache dar!
- Optimal sind
Schlüsselarten (keystone species), deren Verschwinden das Aussterben vieler weiterer
Arten nach sich zieht!
- Vorkommen begrenzt sich
auf unseren geographischen Einzugsbereich (z.B. keine Fernzieher, Vagabunden)!
- Populationssicherung
muss auch finanziell realisierbar sein! (ideal: Populationssicherung erfolgt als
"Nebenprodukt" nachhaltiger Nutzung)
- Arten sollten populär
sein!
Als ergänzende Kriterien zur
regionalen Anpassung formuliert MÜHLENBERG (1989):
- Sind die Habitatvoraussetzungen lokal
überhaupt gegeben?
- Kommt die Art in der Region aktuell
vor?
- Wie groß ist der regionale Bestand?
- Hat die betreffende Population reelle
Chancen einer Sicherung?
Für Naturschutzmaßnahmen an
Fließgewässern differenziert GUNKEL (1996) die Anforderungen weiter:
- Sehr hoher Indikationswert, d.h. für
einen Gewässertyp bzw. ein Gewässerhabitat charakteristisch sind
- Limitierende Verbreitungsfaktoren sind
bekannt (chemische, physikalische und biologische)
- Potentiell weites Verbreitungsgebiet,
so dass überregionale Anwendbarkeit
- Relativ hohe Reproduktion
- Eindeutig bestimmbar und leicht
auffindbar
- Hohe Popularität
Ralf Schulte, NABU-Akademie Gut
Sunder
Zitatempfehlung:
Schulte, Ralf (2001): Das Zielarten-Konzept.
Ergebnisse des Seminars "Zielarten für den Naturschutz an Fließgewässern - Mehr
Raum für Bäche und Flüsse" vom 19.09. bis 20.09.2000 www.nabu-akademie.de/berichte/00arten.htm
(15.03.2001) |